Rechtsbeitrag: Überbein als Mangel?

Erschienen am 16.05.2017

Dieser Rechtskundebeitrag behandelt ein Urteil, das sich gleich mit mehreren wichtigen Problemen des Pferdekaufrechts befasst. Auch wenn es "nur" von einem Landgericht stammt, wäre es selbst für Jurastudenten lesenswert

Der Fall

Die Klägerin eines beim Landgericht Kempten (LG) entschiedenen Rechtsstreites hatte von einem Pferdehändler ein Pferd gekauft, um es als Dressurpferd nutzen und auf Turnieren einsetzen zu können. Dem zunächst nur mündlichen Vertragsabschluss ging eine tierärztliche Kaufuntersuchung voraus, die nach Kenntnis beider Parteien keinen Befund erbracht hatte.

Kurze Zeit nach Übergabe lahmte das Pferd. Als Ursache wurde ein Fesselträgerschaden festgestellt. Die Käuferin forderte den Verkäufer zur Nacherfüllung auf, die aber abgelehnt wurde. Sie ist dann vom Vertrag zurückgetreten. Sie stützte ihre Klage auf den Rücktritt, also den Fesselträgerschaden, und zusätzlich darauf, dass auf einer Videoaufzeichnung der Kaufuntersuchung zu erkennen sei, dass eine Beugeprobe nicht negativ, sondern geringgradig positiv ausgefallen sei. Im Prozess wurde das von einem Sachverständigen bestätigt, der stellte außerdem bei der Untersuchung des Pferdes ein Überbein vorne links fest, wo das Pferd auf Grund des Fesselträgerschadens auch die Lahmheit gezeigt hatte. Die Klägerin hat dann ihren Rücktritt auch auf das Vorhandensein dieses Überbeins gestützt, das die Klägerin selbst unmittelbar nach Ankunft bereits entdeckt, aber zunächst für unerheblich gehalten hatte.

Die Beschaffenheitsvereinbarung

Das LG sah darin, dass Käuferin und Verkäufer, übereinstimmend davon ausgegangen waren, dass die Kaufuntersuchung keinen von der Norm abweichenden Befund ergeben hatte, eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Inhalt "ohne Befund bei der Ankaufsuntersuchung".

Dies bedeutet, dass das Pferd in gesundheitlicher Hinsicht dem mitgeteilten Ergebnis der tierärztlichen Untersuchung entsprechen musste. Das war nach Auffassung des Gerichts nicht der Fall, weil der untersuchende Tierarzt nicht auf das Überbein hingewiesen hatte. Hierzu fand sich keine Bemerkung im Untersuchungsprotokoll. Der Befund wäre aber nach Auffassung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen zu erwähnen gewesen. Danach stand für das Gericht fest, dass das Pferd einen Mangel aufwies.

Die Beweisvermutung

Zwischen der Klägerin des Rechtsstreites und dem Beklagten war ein Verbrauchsgüterkauf zu Stande gekommen, weil der Beklagte gewerblich mit Pferden handelte und die Klägerin das Pferd als "Verbraucherin" erworben hatte. Das LG meinte, auch auf das Überbein sei die Beweisvermutung gem. § 476 BGB anzuwenden. Danach hat der Käufer lediglich den Nachweis zu führen, dass ein bestimmter Mangel sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang gezeigt hat, der Beklagte hätte dann nachzuweisen, dass der Mangel bei Gefahrübergang nicht vorhanden war. Der Anwendung dieser für den Verbraucher günstigen Beweisvermutung stehe nicht entgegen - so das LG -, dass ein Überbein jederzeit durch ein Trauma verursacht werden könne. Die Beweisvermutung der genannten Bestimmung sei nicht schon dann mit der Art des Mangels unvereinbar, wenn der Mangel typischerweise jederzeit auftreten könne und deshalb keinen hinreichend sicheren Rückschluss darauf zulasse, dass er schon bei Gefahrübergang vorhanden war.

Die Erheblichkeit

Generell kann der Käufer vom Vertrag nur dann zurücktreten, wenn das Pferd einen "erheblichen" Mangel aufweist. Man könnte durchaus daran denken, dass ein Überbein, das nicht unmittelbar eine Lahmheit verursacht, reizlos und nicht druckempfindlich ist, als reiner Schönheitsfehler angesehen werden kann. Das LG wies jedoch darauf hin, dass das Überbein nicht der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit entsprach, weil es im Rahmen der Kaufuntersuchung keine Erwähnung gefunden hatte. Der Richter berief sich auf den Bundesgerichtshof, der den Leitsatz geprägt hat, dass bereits der Verstoß gegen die Beschaffenheitsvereinbarung die Erheblichkeit des Mangels indiziert. Diese Indizwirkung sei bei einem Überbein auch nicht zu entkräften, weil auch nach einer knöchernen Konsolidierung noch die Möglichkeit bestehe, dass auf Grund es Überbeins eine Lahmheit auftrete, auch wenn dies unwahrscheinlich sei.

Die Rücktrittserklärung

Die Klägerin hatte zunächst den Rücktritt auf einen Fesselträgerschaden gestützt und erst im Verlauf des Prozesses nach Eingang des gerichtlichen Gutachtens auch auf das erwähnte Überbein. Das war nach Auffassung des LG unerheblich. Grundsätzlich bedürfe der Rücktritt gar keiner Begründung, deshalb könnten auch Gründe "nachgeschoben" werden.

Die Nacherfüllung

Generell ist auch beim Pferdekauf dem Verkäufer Gelegenheit zur Nacherfüllung zu geben, nach Wahl des Käufers alternativ durch Behebung eines Mangels oder Lieferung eines - mangelfreien - Ersatzpferdes. In dem vom LG Kempten entschiedenen Fall war eine Frist zur Nacherfüllung wegen des Überbeins gerade nicht gesetzt worden. Das stehe dem Rücktritt vom Vertrag aber nicht entgegen. Einer Nachfristsetzung bedürfe es nicht, wenn auf Grund des Verhaltens des Verkäufers sicher davon auszugehen sei, dass er dem Nacherfüllungsverlangen nicht nachkommen würde. Dabei sei auch das Verhalten des Beklagten im Prozess zu berücksichtigen. Der Beklagte hatte vehement bestritten, dass das Überbein bei Gefahrübergang vorlag, sich außerdem auf den Standpunkt gestellt, dass ein solches Überbein den Rücktritt mangels Erheblichkeit nicht rechtfertige. Daher wäre in dem konkreten Fall eine Fristsetzung reine Förmelei gewesen.

Fazit

Das sorgfältig begründete Urteil des LG Kempten setzt sich mit Grundsatzfragen des Pferdekaufrechts auseinander, jeweils gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Das Urteil ist insofern abgesichert, es darf aber nicht verkannt werden, dass es keinen exakt gleichen Sachverhalt gibt und deswegen stets auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen ist.

Dr. Plewa/Dr. Schliecker Rechtsanwälte/Fachanwälte

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