Rechtsprechung: Haftung des Tierarztes bei Zwillingsträchtigkeit
Erschienen am 26.05.2011
Rechtstreit zwischen Pferdezüchter und Tierarzt
In der Pferdezucht führen Zwillingsträchtigkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit zum Verlust beider Fruchtanlagen oder zu Fehl- bzw. Todgeburten. Es ist der Ausnahmefall, dass eine Zwillingsträchtigkeit zur Geburt zweier lebensfähiger Fohlen führt. Oft genug bleiben dann auch noch die geborenen Zwillinge körperlich und qualitativ hinter Fohlen aus normalen Trächtigkeiten zurück.
Aus diesem Grunde werden Zuchtstuten regelmäßig ca. 18 Tage und sechs Wochen nach der Bedeckung durch einen Tierarzt auf Zwillingsträchtigkeit untersucht. Wird eine Zwillingsträchtigkeit frühzeitig erkannt, besteht die Möglichkeit, eine Fruchtanlage "wegzudrücken", um die Zwillingsträchtigkeit auf eine normale Trächtigkeit zu reduzieren. Wenn eine Reduktion auf eine normale Trächtigkeit nicht mehr möglich ist, kann die Trächtigkeit insgesamt abgebrochen und die Stute in der nächsten Rosse neu gedeckt werden.
Trotz manueller und sonografischer Trächtigkeitsuntersuchung werden dennoch immer wieder Zwillingsträchtigkeiten übersehen, sodass es leider viel zu häufig zu Fehl- oder Todgeburten kommt. Viele Züchter machen in diesen Fällen den untersuchenden Tierarzt für die Fehl- bzw. Todgeburt verantwortlich, weil sie der Auffassung sind, der Tierarzt hätte die Zwillingsträchtigkeit erkennen und beenden müssen. In diesem Falle hätte der Züchter die Stute neu bedecken lassen können und in dem betreffenden Zuchtjahr noch ein Fohlen von durchschnittlichem Wert ziehen können. Als durchschnittlicher Wert wird regelmäßig derjenige Wert bestimmt, welcher im Mittel auf Fohlenauktionen erzielt wird.
Es verwundert daher nicht, dass sich mehrfach Gerichte mit Klagen von Züchtern gegen Tierärzte auf Schadensersatz wegen Nichterkennen einer Zwillingsträchtigkeit beschäftigt haben. Je nachdem, wie die Umstände des Einzelfalls gelagert waren, wurde den Züchtern entweder Recht gegeben oder die Tierärzte wurden von jedem Verschulden freigesprochen. Eine klare Linie hat sich in der Rechtsprechung noch nicht durchgesetzt.
In dem nachfolgenden Sachverhalt konnte der Züchter den von ihm geltend gemachten Anspruch gegen den Tierarzt nicht durchsetzen:
Ein Züchter hatte seinen Tierarzt beauftragt, die Trächtigkeit seiner Stute zu prüfen. Die Stute des Züchters wurde am 17. und 49. Tag nach der Bedeckung durch den Tierarzt untersucht. Der Tierarzt stellte nach manueller und sonografischer Trächtigkeitsuntersuchung fest, dass die Stute tragend war. Eine Zwillingsträchtigkeit erkannte er nicht. Im zehnten Monat der Trächtigkeit gebar die Stute innerhalb von zwei Tagen zwei tote Fohlen.
Daraufhin nahm der Züchter den Tierarzt auf Schadensersatz in Anspruch, weil dieser nach Auffassung des Züchters bereits am 18. Tag nach der Bedeckung die Zwillingsträchtigkeit hätte erkennen und eine Reduktion auf eine Fruchtanlage hätte vornehmen müssen. In diesem Falle hätte er, so der Züchter, in dem betreffenden Zuchtjahr ein Fohlen im Wert von 7.000,00 ? ziehen können. Diesen Betrag wolle der Züchter von dem Tierarzt als Schadensersatz erstattet haben.
Das Landgericht holte ein Sachverständigengutachten zu der Frage ein, ob der Tierarzt schuldhaft die Zwillingsträchtigkeit nicht erkannt hatte und ob bei Reduktion auf eine Fruchtanlage oder bei Abbruch der Trächtigkeit mit anschließender Neubedeckung im darauf folgenden Jahr ein gesundes Fohlen gefallen wäre.
Der Tierarzt wandte dagegen ein, dass es Konstellationen gäbe, bei denen eine Zwillingsträchtigkeit nicht zu erkennen sei. Ferner sei auch nicht gewährleistet, dass bei Wegdrücken einer Fruchtanlage oder Abbruch der Trächtigkeit mit Neubedeckung im darauf folgenden Jahr ein gesundes Fohlen gefallen wäre. Schließlich habe er dem Züchter keinesfalls dem Wert des Fohlens zu ersetzen; denn ein möglicher Schadensersatzanspruch des Züchters würde sich lediglich auf den entgangenen Gewinn begrenzen. Der Wert des Fohlens sei jedoch nicht der entgangene Gewinn. Der Gewinn sei derjenige Betrag, welcher dem Züchter nach Abzug aller Kosten verbleibe, die für die Zucht des Fohlens erforderlich waren. Die Zucht eines Fohlens von der Bedeckung bis zur Verkaufsreife koste inklusive aller Leistungen durch beispielsweise Hufschmiede und Tierärzte für Fohlen und Mutterstute sowie für Unterstellung, Fütterung und Versorgung von Fohlen und Mutterstute monatlich durchschnittlich 425,00 ?.
Der Sachverständige kam in seinem Gutachten zu der Auffassung, dass die Zwillingsträchtigkeit der Stute für einen erfahrenen Tierarzt weitgehend sicher erkennbar gewesen wäre, und zwar bei der ersten Untersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und bei der zweiten Untersuchung mit hoher Wahrscheinlichkeit. Weiter führte er aus, dass bei Erkennen einer Zwillingsträchtigkeit am ca. 18. Tag nach der Bedeckung eine Fruchtanlage reduziert werden könne und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % bis 90 % die andere Fruchtanlage fortbestehe. Je länger mit der Reduktion auf eine Fruchtanlage gewartet werde, umso unwahrscheinlicher werde der Erfolg der betreffenden Behandlung. Wäre die Zwillingsträchtigkeit vollständig abgebrochen worden und die Stute neu bedeckt worden, wäre die Stute mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 60 % trächtig geworden und hätte daraufhin ein gesundes Fohlen geboren.
Das Landgericht schloss sich den Ausführungen des Sachverständigen an. Es kam zu der Überzeugung, dass dem Tierarzt ein Diagnosefehler unterlaufen sei, weil er die Zwillingsträchtigkeit nicht erkannt habe. Allerdings war das Landgericht nicht davon überzeugt, dass der Behandlungsfehler des Tierarztes zu einem Schaden des Züchters geführt hatte. Nur wenn dem Züchter der Nachweis gelungen wäre, dass nach Reduktion der Zwillingsträchtigkeit auf eine Fruchtanlage oder Abbruch der Trächtigkeit mit Neubedeckung im darauf folgenden Jahr ein gesundes Fohlen gefallen wäre, hätte die Klage Aussicht auf Erfolg gehabt. Für diese Behauptung des Züchters sprach lediglich eine Wahrscheinlichkeit zwischen 50 % und 90 %. Dies reichte dem Landgericht nicht aus, um den erforderlichen Beweis zu führen. Es wies daher die Klage des Züchters ab.
In einem anderen, leicht abweichenden Sachverhalt obsiegte der Züchter gegen den Tierarzt. Der beklagte Tierarzt hatte die Stute des klagenden Züchters am 18. Tag nach der Bedeckung manuell und sonografisch auf Trächtigkeit untersucht. Bei dieser Untersuchung stellte der beklagte Tierarzt eine Zwillingsträchtigkeit fest. Er empfahl dem Züchter, nichts zu unternehmen, sondern abzuwarten, ob sich die Zwillingsträchtigkeit von alleine auf eine Fruchtanlage reduziere. Bei der nächsten Trächtigkeitsuntersuchung schloss der Tierarzt irrtümlicherweise eine Zwillingsträchtigkeit aus. Wenige Monate später kam es zur Todgeburt mit Zwillingen.
Diesmal gab das Landgericht der Klage des Züchters statt. Es war der Auffassung, dass der Tierarzt nach Erkennen der Zwillingsträchtigkeit entweder auf eine Fruchtanlage hätte reduzieren oder die Trächtigkeit vollständig abbrechen müssen. Es sei ein grober Behandlungsfehler gewesen, nichts zu unternehmen und darauf zu vertrauen, dass sich eine Fruchtanlage von alleine reduziere. Bei einem groben Behandlungsfehler trete eine Beweislastumkehr ein. Hier müsse nicht der Züchter den Nachweis führen, dass bei Vornahme der richtigen Behandlung im nächsten Jahr ein gesundes Fohlen gefallen wäre. Vielmehr werde bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers zu Gunsten des Züchters gesetzlich vermutet, dass er im nächsten Jahr ein Fohlen von durchschnittlichem Wert hätte ziehen können. Daraufhin verurteilte das Landgericht den Tierarzt zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Wertes des Fohlens.
Der Tierarzt ging vor dem zuständigen Oberlandesgericht in Berufung. Im Berufungsverfahren verglichen sich der Züchter und der Tierarzt auf eine reduzierte Zahlung, weil das Landgericht übersehen hatte, dass der Wert des Fohlens nicht dem Schaden des Züchters entspricht. Der Schaden des Züchters ist der Wert des Fohlens abzüglich der fiktiven Kosten, die zwischen Verfohlen und erster Verkaufsreife angefallen wären.
RAe Dr. Bemmann & Kollegen
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