Rechtsfragen: Tierhalterhaftung
Erschienen am 30.03.2012
Sinn der Unterscheidung Luxus-/Nutztier
Ein aufmerksamer Leser der Rechtskundebeiträge hat mich gebeten, die Frage zu beantworten, aus welchem Grunde eigentlich haftungsrechtlich nach Luxus- und Nutztieren unterschieden wird. Schließlich sei es für den Geschädigten gleichgültig, ob das Pferd, das ihn verletzt hat, privat oder gewerblich eingesetzt wird. Der Bitte des Lesers komme ich gerne nach.
Die gesetzliche Regelung
Der vielfach behandelte § 833 BGB regelt die Tierhalterhaftung.
Sie knüpft daran an, dass von einem Pferd wegen dessen Unberechenbarkeit Gefahren für seine Umgebung ausgehen. Ein Pferd kann ausschlagen, beißen, durchgehen, steigen oder sich anderweitig den Reiterhilfen entziehen und dadurch schwer wiegende Verletzungen oder auch Sachschäden verursachen. Man spricht dann von der Realisierung der Tiergefahr. Führt die zu einem Schaden, hat der Halter des Pferdes dafür einzustehen. Halter ist meistens, aber nicht immer der Eigentümer. Entscheidend ist, wer das Pferd nutzen darf, wer das Risiko trägt und für das Pferd letztlich verantwortlich ist.
Wird das Pferd aus Liebhaberei gehalten, spricht man von einem "Luxustier". Für von einem solchen Pferd verursachte Schäden haftet der Halter uneingeschränkt ohne eigenes Verschulden. Es handelt sich um eine reine Gefährdungshaftung, die an die erwähnte vom Pferd ausgehende Tiergefahr anknüpft und hierfür einen Ausgleich schaffen soll.
In § 833 S. 2 BGB heißt es dann, dass die Haftung des Tierhalters dann entfällt, wenn der Schaden durch ein Pferd verursacht wurde, "das der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen" bestimmt ist. Bei dieser Gattung von Pferden spricht man der Einfachheit halber von "Nutztieren".
Der Halter eines Nutztieres haftet im Ergebnis dann nicht, wenn er nachweisen kann, bei der Beaufsichtigung seines Pferdes die erforderliche Sorgfalt beachtet zu haben oder aber, dass auch bei Nichteinhaltung der gebotenen Sorgfalt der Schaden unvermeidbar gewesen wäre. Hier haben wir es mit einer vermuteten Verschuldenshaftung zu tun. Die Vermutung des schuldhaften Verhaltens hat allerdings der Tierhalter zu entkräften. Dennoch bietet ihm der Entlastungsbeweis die Möglichkeit, sich ganz von der Haftung zu befreien.
Sinn der Privilegierung
Man fragt sich natürlich, warum eigentlich der Nutztierhalter haftungsrechtlich besser gestellt ist als der Halter eines Luxustieres. Schließlich macht es für den Geschädigten keinerlei Unterschied, welcher "Gattung" das den Schaden verursachende Pferd zuzurechnen ist. Entläuft beispielsweise ein Pferd aus der Weide und verursacht auf der nahe gelegenen Landstraße eine Kollision mit einem PKW, so trifft den Fahrzeughalter der an seinem PKW eingetretene Schaden völlig unabhängig davon, ob ein Luxus- oder ein Nutztier entlaufen ist. Er bekommt aber seinen Schaden nicht ersetzt, wenn der durch ein Nutztier verursacht wurde und dessen Halter beweist, dass er die Weide, aus der das Pferd entlaufen ist, ordnungsgemäß eingezäunt hat. Steht beispielsweise fest, dass das Pferd panikartig auf ein lautes Geräusch reagiert und den einwandfreien Zaun durchbrochen hat, so bleibt der PKW-Halter "auf seinem Schaden sitzen". Auf denersten Blick erscheint diese Ungleichbehandlung der Pferdehalter bzw. des Geschädigten ungerecht. Der Gesetzgeber hat sich von folgenden Erwägungen leiten lassen: Derjenige, der ein Pferd aus Liebhaberei hält, leistet sich den "Luxus", ein Pferd sein Eigen zu nennen, das für seine Umwelt eine Gefahr darstellen kann. Völlig Unbeteiligte können ohne eigenes Verschulden durch das z. B. ausschlagende oder beißende Pferd schwer wiegende Verletzungen erleiden. Derjenige, der dieses Risiko begründet, soll unabhängig von eigenem Verschulden für den eingetretenen Schaden einzustehen haben. Hier fällt also die Interessenabwägung zu Gunsten des Geschädigten aus.
Der Halter eines Nutztieres leistet sich mit der Anschaffung und der Unterhaltung des Pferdes keinen "Luxus". Er bestreitet vielmehr durch den Einsatz des Pferdes seinen Lebensunterhalt, zumindest einen nicht unerheblichen Teil davon. Er nutzt es zur Erzielung von Einkünften, gleichgültig ob gewerblich, haupt- oder nebenberuflich. Die Anforderungen an die Nutztiereigenschaft sind relativ streng. Die durch Einsatz des Pferdes erzielten Einkünfte müssen einen nicht unerheblichen Teil des Einkommens des Pferdehalters darstellen, so jedenfalls die Auffassung des überwiegenden Teils der Rechtsprechung.
Weil der Halter des Nutztieres also quasi auf das Pferd angewiesen ist, soll er dann nicht haften, wenn ihn an der Schadensverursachung durch sein Pferd kein Verschulden trifft. Hier hat der Gesetzgeber zwar einerseits dem Tierhalter den Beweis für sein fehlendes Verschulden aufgebürdet. Andererseits aber hat er dann dessen Interessen daran, nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden zu können, wenn er die erforderliche Sorgfalt beachtet hat, höher bewertet als die Interessen eines möglichen Geschädigten an einem Schadensausgleich.
Es fragt sich natürlich, ob die Unterscheidung noch zeitgemäß ist. Als die Verfasser des BGB die Regelung für den Nutztierhalter formuliert haben, wurden Pferde regelmäßig noch für Erwerbszwecke genutzt, insbesondere in der Landwirtschaft und als Zugpferde für Fuhrunternehmen. Dennoch: In einer recht aktuellen Entscheidung erst hat das Bundesverfassungsgericht die Privilegierung des Nutztierhalters für verfassungsgemäß erklärt. Die Regelung wird daher noch auf lange Sicht wirksam sein.
Vorsorge
Es zeigt sich, dass es Risiken gibt, die allein vom Geschädigten zu tragen sind. Ihm bleibt die Möglichkeit der Vorsorge. So könnte in dem geschilderten Beispielsfall der PKW-Halter eine Vollkaskoversicherung abschließen und hierüber den Schaden reguliert erhalten. Durch ein Nutztier angerichtete Personenschäden könnten materiell kompensiert werden durch den Abschluss einer privaten Unfallversicherung. Es ist daher die Entscheidung jedes Einzelnen, solche Lebensrisiken abzusichern, für die haftungsrechtlich niemand einzustehen hat.
Dr. Dietrich Plewa, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht