Pferdehaltung ohne freien Auslauf strafbar?
Erschienen am 09.07.2013
Auch wenn es hierzu keine Statistiken geben mag: Es wird mit Recht festgestellt werden dürfen, dass Reiter und Pferdehalter im eigenen Interesse mit den ihnen anvertrauten Pferden so umgehen, dass sie möglich lange gesund erhalten werden und für ihre bestimmungsgemäße Verwendung genutzt werden können. Geschieht das nicht, stellt sich die Frage, wie darauf aus rechtlicher Sicht zu reagieren ist. Die Antwort hat sich daran zu orientieren, was wünschenswert, vertretbar und was andererseits schlechterdings nicht hinnehmbar ist. Leider fehlt es an klaren rechtlichen Vorgaben, was für den Reitsport zu fatalen Folgen führen kann.
Die Problemfelder
Der Tierschutz spielt im Pferdesport eine große Rolle, die aber in diesem Beitrag nicht näher beleuchtet werden soll. Erfreulicherweise gibt es weitgehend konkrete und inzwischen auch in der praktischen Anwendung bewährte Regelungen z.B. zu Doping, unerlaubter Medikation oder anderweitiger Manipulation des Leistungsvermögens von Sportpferden. Ein hohes Maß an Rechtssicherheit resultiert auch daraus, dass die Verfolgung von Verstößen gegen Tierschutzbelange im Pferdesport in fachkundigen Händen liegt, weil die Verantwortung bei der Landeskommission bzw. der FN, nur nachrangig bei den staatlichen Verfolgungsbehörden liegt.
Ein aktuell besonders problematisches Feld ist das der Pferdehaltung. Die insoweit einzuhaltenden Bedingungen werden nicht von den Pferdesportorganisationen überwacht, vielmehr von den Veterinärämtern. Verstöße gegen deren Maßnahmen sind dann auf dem Verwaltungsrechtswege oder aber vor dem Strafrichter zu klären. Die Unterscheidung ist wichtig: Es macht einen erheblichen Unterschied, ob es "nur" um die Verbesserung von Haltungsbedingungen von Pferden geht oder aber um die Frage, ob der Halter sich wegen eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz strafbar macht.
Mit dem Argument, dass Pferde Herdentiere sind, wird man sicherlich die Haltung von Pferden in einer Gruppe auf der Weide als wünschenswert ansehen. Heißt das aber im Umkehrschluss, dass jemand wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz zu bestrafen ist, wenn er seinen Sportpferden diese Art der Haltungsform nicht "gönnt", wohl aber für beste Unterbringungsmöglichkeiten in geräumigen Boxen und reichlich kontrollierte Bewegung sorgt? Aus einem in der Presse häufig erwähnten Urteil des Amtsgerichts Starnberg könnte man ableiten, dass es strafbar ist, ein Pferd nicht täglich auf der Weide zusammen mit Artgenossen zu halten. Das Urteil soll hier nicht näher kommentiert werden, weil es in den Presseveröffentlichungen oftmals inhaltlich unzutreffend dargestellt wird, insbesondere aber, weil es nicht rechtskräftig ist. Die Entscheidung des Amtsgerichts Starnberg wirft aber die Frage auf, welche Grundlage es überhaupt dafür gibt, an eine Strafbarkeit zu denken, wenn der Pferdehalter das Verletzungsrisiko einer Gruppenhaltung für so groß ansieht, dass er kontrollierte Bewegung vorzieht.
Die strafrechtlichen Anforderungen
Nach § 17 Tierschutzgesetz (TierSchG) wird bestraft, wer einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.
Legt man eine weit verbreitete Haltungsform von Reitschul- und Sportpferden zu Grunde, so erfolgt die Unterbringung in Boxen, in denen die Pferde Geruchs- und Sichtkontakt zu anderen Pferden haben. In der Regel werden sie täglich bewegt, ihnen wird durch Reiten oder Longieren Bewegung verschafft. Die Erfahrung zeigt, dass Pferde, denen darüber hinaus mangels entsprechender räumlicher Möglichkeiten kein Auslauf auf der Weide oder auf Freiflächen gewährt wird, bei regelmäßiger kontrollierter Bewegung, ohne dabei überanstrengt zu werden, bis ins hohe Alter keinen gesundheitlichen Schaden nehmen. Viele Pferde aus Reitschulbetrieben und Reitinstituten, die mehr als 20 Jahre alt sind, mögen dafür als Beispiele genannt werden.
Sicherlich wünschenswert und den aktuellen Anforderungen eher entsprechend sind Haltungsformen, bei denen über die Boxenhaltung und regelmäßige Bewegung hinaus zumindest Paddocks, von der Boxe des Pferdes frei zugänglich, angeboten werden, eventuell freier Auslauf eines einzelnen Pferdes auf einer Weide oder Auslauffläche.
Speziell in der Haltung von Robust- und Freizeitpferden erfreut sich die Gruppen-Offenstallhaltung zunehmender Beliebtheit, oftmals verbunden mit Weidegang in der Gruppe.
Dass das Angebot von Auslaufflächen für die Einzel- und Gruppenhaltung aus der "Sicht des Pferdes" wünschenswert ist, sollte nicht bestritten werden. Ob allerdings hierfür das Argument taugt, Pferde würden sich in freier Natur rund 16 Stunden am Tag auf der Nahrungssuche bewegen, erscheint zweifelhaft. Die 16-stündige Bewegung wurde bei Pferden beobachtet, denen in der Nähe ihres Standortes nur wenig an Futter zur Verfügung stand, die also zur Futteraufnahme geradezu gezwungen waren, sich fortzubewegen. Beobachten wir Pferde, denen reichlich Futter auf großzügigem Areal angeboten wird, wird man jedenfalls nach vorausgegangener kontrollierter Bewegung unter dem Reiter auch bei mehrstündigem Weideaufenthalt keine nennenswerte Fortbewegung beobachten können.
Die Richtlinien
Von den Veterinärbehörden werden bei der Überprüfung von Pensionsställen die "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten" herangezogen. In dieser heißt es, dass die Kontaktmöglichkeiten zwischen den Pferden nur "so wenig wie möglich behindert werden dürfen". In jedem Fall soll zumindest Sicht-, Hör- und Geruchskontakt zwischen den Tieren sichergestellt werden. Für Fohlen und Jungpferde wird gefordert, dass die aus Gründen ihrer sozialen Entwicklung nicht einzeln gehalten werden und in Gruppen aufwachsen müssen. Mangelnde Bewegung - so die Leitlinien - könne die Ursache von Verhaltensstörungen sein und Schäden bedingen, insbesondere am Bewegungsapparat. Kontrollierte Bewegung könne die freie Bewegung nicht vollständig ersetzen. Bei der Planung von Pferdeställen solle immer überprüft werden, ob auch ausreichend groß bemessene Auslauf- und/oder Weideflächen verfügbar seien.
Diese Empfehlungen sind allesamt gerechtfertigt. Zu beachten ist aber, dass es sich um Leitlinien handelt, nicht um zwingende gesetzliche Vorgaben.
Ein völliger Irrtum ist es, bei Nichteinhaltung dieser Bedingungen auf ein strafbares Verhalten des Pferdehalters zu schließen. Voraussetzung dafür wäre nämlich der Nachweis, dass dem Pferd ansonsten länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt würden. Ob dies der Fall ist, sagen die Leitlinien nicht. Sie werden oftmals fehlinterpretiert, zumal es sich selbst bei Juristen eingebürgert hat, sie als "antizipierte Sachverständigengutachten" zu werten. Das besagt nichts zur wissenschaftlichen Qualität der Leitlinien. So richtig sie auch sein mögen, sie sind nicht mehr - und nicht weniger - als ein Konsens, den einige Experten gefunden haben. Die Leitlinien stellen also eine Expertenmeinung dar, die nach wissenschaftlichem Maßstab als niedrigste Evidenzstufe angesehen wird. Das bedeutet: Es gibt keine breit angelegten, gegebenenfalls wiederholten und auf verschiedene Pferderassen sich erstreckenden wissenschaftlichen Untersuchungen dazu, welche Haltungsbedingungen geeignet sind, bei Pferden Schmerzen oder Leiden zu verursachen. Sucht man in der juristischen Fachliteratur, so findet sich keine verbindliche Definition der in § 17 TierSchG verwendete Begriffe, wohl aber der Hinweis auf die erwähnten Leitlinien. Die sind nun aber gerade nicht geeignet, Schmerzen oder Leiden bei einem Pferd festzustellen, das beispielsweise in einer großzügigen Boxe gehalten und regelmäßig und gezielt kontrolliert bewegt wird. Ein strafbares Verhalten setzt voraus, dass verbindlich Schmerzäußerungen des Pferdes oder Leiden festgestellt werden und mehr noch: Auch die Ursächlichkeit der Haltungsbedingungen für Schmerzen und/oder Leiden und deren Erheblichkeit müssten bewiesen werden. Die Leitlinien jedenfalls sind für die Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage im Sinne des Strafrechts ungeeignet.
Dass einem Pferd, das von einem -Reiter durch Gerteneinsatz misshandelt oder aber überfordert wird, Schmerzen bzw. Leiden zugefügt werden, unterliegt keinem Zweifel. Ob aber tatsächlich die Entscheidung des Eigentümers, sein Pferd nicht in der Gruppe zu halten, zu Schmerzen oder Leiden führt, erscheint doch eher fragwürdig. Nicht ganz unberücksichtigt bleiben darf auch der Aspekt des Verletzungsrisikos, und zwar gerade unter der Berücksichtigung des Tierschutzes.
Eine Umfrage bei Tierkliniken hat jedenfalls ergeben, dass die gemeinsame Weidehaltung im Vergleich zu anderen Haltungsformen das höchste Verletzungsrisiko für die Pferde begründet. Diese Einschätzung wird gestützt durch die Vielzahl von Schadensfällen, die Gegenstand außergerichtlicher und gerichtlicher Auseinandersetzungen sind und sich auf Weideunfälle beziehen, an denen mindestens zwei Pferde beteiligt sind.
Fazit
Werden für ausgewachsene Reit- und Sportpferde Haltungsformen nicht eingehalten, die für aufwachsende Pferde üblich und geboten sind, kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Pferdehalter vorsätzlich gegen das Tierschutzgesetz verstößt.
Dr. Dietrich Plewa