Die tierärztliche Aufklärungspflicht

Erschienen am 31.10.2014

Wenn gar nichts mehr hilft, wird in tierärztlichen Haftpflichtprozessen oftmals eine Verletzung der Aufklärungspflicht geltend gemacht. Die hilft gegenüber Humanmedizinern oftmals weiter, die Anforderungen im Bereiche der Tiermedizin sind jedoch grundlegend andere.

Ein Beispielsfall

Der Kläger eines Rechtsstreits war Eigentümer und Halter eines Pferdes, das offensichtlich Schwierigkeiten bei der Futteraufnahme hatte. Er nahm daraufhin einen Tierarzt in Anspruch, der sich auf die Zahnbehandlung von Pferden spezialisiert hatte. Der fertigte ein Röntgenbild an und diagnostizierte eine Zyste unter einem Backenzahn, eine Fistel mit Eiterbildung und Gasaustritt.

Er entschloss sich, den Zahn zu entfernen. Danach verbesserte sich der Zustand des Pferdes nicht. Vor einem weiteren Eingriff wurden Splitter aus dem Zahnfach des entfernten Zahnes entfernt, außerdem wurde eine Kieferfraktur festgestellt. Der Kläger machte Schadensersatz wegen der ihm entstandenen Nachbehandlungskosten geltend und stützte die Klage auf die Behauptung
- der Tierarzt habe eine fehlerhafte Diagnose gestellt und sei bei der Entfernung des Zahnes durch Einsatz eines Maulgatters nicht ordnungsgemäß vorgegangen,
- außerdem sei er über die Risiken, insbesondere die Möglichkeit einer Kieferfraktur nicht aufgeklärt worden.

Die Pflichtverletzung

Grundsätzlich setzt jeder Schadensersatzanspruch gegenüber einem Tierarzt eine Pflichtverletzung voraus. Ein Diagnosefehler ist nicht selbstverständlich als Pflichtverletzung anzusehen, weil es durchaus sein kann, dass die danach eingeleitete Therapie auch bei richtiger Diagnosestellung erforderlich gewesen wäre. Ein Diagnosefehler wird allerdings dann zum Behandlungsfehler, wenn die Therapie auf der fehlerhaften Diagnose beruht und grundsätzlich anders hätte aussehen müssen, wenn die Krankheit zutreffend erkannt worden wäre.

Im geschilderten Beispielsfall konnte die Diagnose anhand von Röntgenbildern nachvollzogen werden. Da sie sich als richtig herausstellte, war die Extraktion des Zahnes, unter welchem sich eine Fistel befand, die angezeigte Therapieform.

Der Einsatz eines Maulgatters ist bei Zahnextraktionen geboten, letztlich auch unumgänglich. Eine Pflichtverletzung würde also in einem derartigen Fall nicht anzunehmen sein.

Zur Aufklärungspflicht

Wenn es zwischen Patient und Humanmediziner um die Erfüllung der Aufklärungspflicht geht, muss der Arzt nachweisen, den Patienten ordnungsgemäß aufgeklärt zu haben. Die Aufklärung wird nämlich als Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff angesehen. Der Arzt würde also rechtwidrig handeln und letztlich eine Körperverletzung im strafrechtlichen Sinne begehen, wenn mangels ausreichender Aufklärung eine solche Einwilligung nicht anzunehmen wäre.

Anders im Bereiche der Veterinärmedizin

Der Patientenbesitzer muss zunächst einmal nachweisen, dass der Tierarzt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Aufklärung umso ausführlicher sein muss und sich auch auf entfernt liegende, eher seltene Risiken zu erstrecken hat, wenn es sich um eine nicht "vital indizierte", also sehr dringende tierärztliche Maßnahme handelt. Ebenso erhöht sind die Anforderungen an die tierärztliche Aufklärungspflicht, wenn dem Tierarzt mehrere Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen und er sich für eine risikoreichere Methode entscheidet.

Wird die Aufklärungspflicht in dem beschriebenen Sinne verletzt, leitet sich daraus noch kein Schadensersatzanspruch ab. Vielmehr muss der Pferdeeigentümer auch noch darlegen und nachweisen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen den tatsächlich durchgeführten Eingriff entschieden hätte. Das ist oftmals schlechterdings nicht möglich.

Zu dem Beispielfall:

Bei Einsatz eines Maulgatters und Durchführung einer Zahnextraktion kann es zu einer Kieferfraktur kommen. Das ist ein geradezu typisches Risiko, das sich allerdings statistisch gesehen eher selten verwirklicht. Geht man davon aus, dass hierüber aufzuklären ist, stellt sich die Frage, ob sich der Auftraggeber gegen die Zahnextraktion entschieden hätte. Das ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn es überhaupt keine andere Möglichkeit der Therapie gibt, aber auch dann, wenn die Extraktion des Zahnes die nach veterinärmedizinischen Grundsätzen indizierte Therapieform ist.

Kommt also in einem Rechtsstreit der vom Gericht beauftragte Sachverständige zu dem Ergebnis, dass eine Zahnextraktion geboten war, wird das Gericht davon ausgehen, dass auch bei intensiver Aufklärung der Pferdeeigentümer sich für diesen Eingriff entschieden hätte. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht wäre damit nicht ursächlich für die später aufgetretene Komplikation, die Klage könnte keinen Erfolg haben.

Fazit

Die Verletzung der Aufklärungspflicht durch einen Tierarzt führt keineswegs zwingend, sondern eher in seltenen Ausnahmefällen zu einem Schadensersatzanspruch. Die Pflichtverletzung wird insbesondere dann relevant, wenn es sich um eine Therapieform handelt, die nicht dringend geboten oder gar zwingend indiziert ist. Wenn in einem solchen Fall eine risikoärmere Methode der Therapie zur Verfügung steht, wird dem Auftraggeber der Nachweis gelingen, dass er bei sachgerechter Aufklärung von dem Einsatz der risikoreicheren Alternative abgesehen hätte.

Dr. Plewa, Rechtsanwalt Fachanwalt für Medizinrecht

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