Stutenfamilien in Mecklenburg Vorpommern (1.)

Erschienen am 04.05.2011

Ihre Bedeutung haben viele Züchtergenerationen erkannt, diese Beitragsserie soll für das Thema sensibilisieren (1)

von Christin Romanowski
Auf den Weiden in M-V wachsen gesunde Pferde auf. Die Familienzucht ist in den letzten Jahrzehnten etwas in die Defensive geraten. Die Arbeit von Kristin Romanowski soll dafür sensibilisieren. Fotos: Jutta Wego
Im Rahmen meiner Diplomarbeit an der Universität Rostock wurden Untersuchungen zu erfolgreichen Stutenfamilien im Zuchtgebiet Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Beginnend mit dem vorliegenden Artikel sollen in regelmäßigen Abständen besonders erfolgreiche und nachhaltig wirksame Stutenfamilien aus unserem Bundesland vorgestellt werden.
Allgemein haben Stutenfamilien unter den Pferdezüchtern große Bedeutung. Diese Erkenntnis entstammt im Wesentlichen der sich über Jahrhunderte gefestigten Zuchttradition, daß bezüglich Haltung, Fruchtbarkeit und Arbeit bodenständig bewährte Stuten die besseren Nachkommen liefern. Bereits in den ersten Jahren organisierter Zuchtarbeit wurde der Auswahl und dem Erhalt wertvoller Stutenfamilien besondere Aufmerksamkeit gewidmet. In der heutigen Zeit können zunehmende Bemühungen um die Förderung und den Erhalt erfolgreicher Stutenfamilien auch in M-V registriert werden.
 
Familienzucht schon bei ältesten Rassen
Bereits bei der ältesten Hauspferderasse, dem Arabischen Vollblut, wurde eine Familienzucht betrieben. Von Beginn an, seit 1793, sind im General-Stud-Book des englischen Vollbluts Stutenfamilien ausgewiesen, auf die sich alle reinrassigen Vollblüter bis heute zurückführen lassen.
Im königlichen Hauptgestüt Trakehnen war die Stutenauswahl nicht minder bedeutend als die des passenden Hengstes. Die Stutenfamilien wurden gezielt auf bestimmte erwünschte Merkmale selektiert. Unter anderem wurden die Stuten der leistungsstarken Fuchsherde auch immer wieder auf diese Farbe hin angepaart. Mit anderen Merkmalen wurde ähnlich verfahren. Jungstuten, welche die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten, wurden zügig ausgemustert. Noch heute erfolgt die Vergabe des Namens bei den Trakehnern nach den Stammstuten.
Im holsteinischen Zuchtgebiet gibt es bereits seit dem 19. Jahrhundert das sogenannte Stammnummernsystem, in dem jeder Familie, ausgehend von einer Stammstute, eine Zahl zugeordnet wird. In diesem Zuchtgebiet herrscht bis heute ein sehr großes Bewußtsein für diese Stutenstämme und in fast jedem Hengstkatalog oder Verkaufsanzeige wird die Stammnummer der Mutter erwähnt. In Holstein gibt es große, erfolgreiche Stutenstämme, aus deren führenden bis zu 78 gekörte Hengste hervorgegangen sind.
Auch in Hannover und Oldenburg hat die Familienzucht eine lange Tradition und ist meist an alte Zuchtstätten mit jahrzehntelanger Erfahrung gebunden. In diesen Zuchtgebieten wird insbesondere bei züchterischen Höhepunkten wie Prämienschauen oder Körveranstaltungen die hohe Wertschätzung der Qualität der Mutterstutenstämme zum Ausdruck gebracht.
Bei allen hier kurz genannten Zuchtgebieten waren an Boden, Klima und Nutzung bestens angepaßte Zuchtpferde der Ausgangspunkt für die bis heute anhaltende erfolgreiche Zucht. Der ?Landmann? als Keimzelle dieser züchterischen Entwicklung bevorzugte die gesunde, robuste und arbeitswillige Stute auch für die Zucht und bildete mit dieser mehr oder weniger bewußten Selektion den Grundstein, aus dem mit der Eröffnung der Stutbücher die Stutenfamilien hervorgingen.
 
Auch in Mecklenburg und Pommern
Dieser Entwicklung, dem Aufbau und Erhalt erfolgreicher Stutenfamilien, verschrieben sich auch die Züchter in den Zuchtgebieten Mecklenburg und Pommern. Bereits im ersten Mecklenburger Gestütbuch von 1896 war dieser Gedanke im Vorwort verankert: ?Es soll daher angestrebt werden, einmal einen guten Stutenstamm zu schaffen und diesen dann auch möglichst dem Lande zu erhalten [...]?.
Nur ein Bruchteil der in der Landeszucht aktiven Stuten fand aufgrund der vorgegebenen Abstammungsvoraussetzungen Eingang in das Gestütsbuch. Die weiblichen Nachkommen sind nach ihren Müttern benannt worden. Für kleinere Züchter gab es zum Erhalt und zur weiteren Nutzung guter Stuten eine finanzielle Unterstützung. Die Erfolge auf den DLG-Schauen der dreißiger Jahre bestätigten den eingeschlagenen Weg.
Diese Tradition hat sich in Mecklenburg-Vorpommern nach dem zweiten Weltkrieg verloren. Die gesellschaftliche Entwicklung im Land mit der Kollektivierung der Landwirtschaft und Zentralisierung der Zucht, einschließlich der wirtschaftlichen Vorgaben und Erfordernisse, haben den Erhalt und die Entwicklung einer Familienzucht erschwert.
 
Ergebnis der mütterlichen Vererbung
Die Bedeutung von Stutenfamilien für die gesamte Zucht resultiert nicht allein aus der Stutbuchführung in den verschiedenen Reitpferdepopulationen. Die Fixierung von Stutenfamilien in Zuchtbüchern ist im eigentlichen das Ergebnis der mütterlichen Vererbung. Nachkommen aus einem konsolidierten Stutenstamm sind dem höheren Grad an Reinerbigkeit (Homozygotie) zufolge vererbungssicherer. Dies ist um so wichtiger, da im Zeitalter der künstlichen Besamung der Einfluß einiger weniger, besonders stark frequentierter, Hengste auf die Population immer größer wird.
Um den Zuchtfortschritt durch moderne Hengste nutzen zu können und trotzdem ein umgängliches und typtreues Reitpferd zu erhalten, sind solide Stutenstämme die Grundlage. Aus zahlreichen Untersuchungen zum Einfluß der mütterlichen Vererbung geht eindeutig hervor, daß insbesondere Eigenschaften mit geringer Erblichkeit wie Konstitution, Temperament, Futtrigkeit oder Mütterlichkeit im Wesentlichen von der Mutter beeinflußt werden.
Auch auf molekulargenetischer Grundlage gibt es erste Erkenntnisse, die den größeren Einfluß des Muttertieres beweisen. Im Mecklenburger Pferde Journal sind in loser Folge, u.a. von Gerd Buchthin, immer wieder noch existente Stutenfamilien aus dem Zuchtgebiet M-V vorgestellt worden.
Um den häufig verwendeten Begriff einer Stutenfamilie zu definieren, sind jedoch einige Vorbemerkungen erforderlich. Oft wird fälschlicherweise von Stutenlinien gesprochen. Die Bezeichnung ?Linie? ist in der Nomenklatur den Hengsten vorbehalten.
 
Es sollten mindestens drei Generationen seinEin Beispiel für gelungene Familienzucht ist die in Groß Stieten entstandene Familie der 1968 geborenen Dolomitenfolge (v. Dolomit). Auf diese geht der Chambertin-Sohn Chacco-Blue über Contara und Godahra II zurück.
Allgemein kann von einer Stutenfamilie gesprochen werden, wenn mindestens drei Generationen, also Großmutter, Mutter und Tochter, in einem Zuchtbuch aktiv sind. Die erste bekannte Stute einer Familie wird als Stammstute bezeichnet. Zumeist handelt es sich dabei um eine zucht- bzw. leistungsbewährte Stute. Sie hat in der Regel zu einer Verbreitung der Familie beigetragen, so daß die Familie ihren Namen trägt. Zu einer Stutenfamilie wird nur die weibliche Nachzucht einer Stammstute gezählt, die dieser zweifelsfrei zu zuordnen sein muß.
Stutenstämme gibt es viele, denn jedes Pferd besitzt eine Abstammung. Wirklich erfolgreiche Stutenstämme sind nicht so häufig. Ebenso sind jene Stutenstämme hervorzuheben, die eine große Verbreitung gefunden haben. Eine einzelne Leistungsstute ohne erfolgreiche Nachzucht oder nennenswerte Verbreitung in der Population ist noch keine Familienbegründerin.
Aus aktuellem Anlaß soll ein Holsteiner Stutenstamm als Beispiel erfolgreicher Familienzucht herangezogen werden. Die Klassifizierung der Stutenstämme erfolgt im Zuchtgebiet Holstein nach Nummern. Der kleine und noch relativ junge Stamm 3615 vereint erfolgreiche Zucht- und Sportpferde in sich. Die GERA v. Galvani/Heidestamm/Heintze, einer bis zum 15. Lebensjahr im schweren Springsport erfolgreichen Stute, brachte der Zuchtstätte Thormählen in Kollmar u.a. die Capitano-Töchter LARSA und CERA.
CERA errang bis zu ihrem 12. Lebensjahr zahlreiche Siege in schweren Springprüfungen bevor sie als Zuchtstute in den Stall zurückkehrte. Ihre Tochter CERA II v. Cor de la Bryère erritt im Springsport über 70 000 EUR Preisgeld, nachdem sie vierjährig Mutter der Landadel-Tochter FEIN CERA geworden war. Peter Wylde (USA) und Alison Firestone erritten mit FEIN CERA, dem erfolgreichsten Pferd der Weltmeisterschaft 2002, bis 2003 über 60 000 EUR Preisgeld. Die vor ihrem Sporteinsatz geborene Calato-Tochter KLEINE CERA führt die Familie im heimischen Zuchtstall weiter.
Aus der 1996 geborenen Enkelin der Capitano-Tochter LARSA, die ebenfalls den Namen Larsa trägt und Come On zum Vater hat, entstammt der Sieger der letztjährigen Hengstleistungsprüfung im Landgestüt Redefin und nunmehr auch für die Zucht des Mecklenburgers zugelassene CERO v. Calido.
Diese kurze Darstellung macht das Potenzial einer Stutenfamilie für eine erfolgreiche, leistungsorientierte Zucht deutlich. Beispiele für vorhandene Stutenstämme in M-V, die ein vergleichbares Potenzial besitzen, sind Anliegen der beabsichtigten Serie. So sei hier kurz die Familie der DOLOMITENFOLGE (v. Dolomit/Assam) erwähnt, deren Dispatcher-Zweig in Zucht und Sport die größten Erfolge hervorbrachte, u.a. den Mecklenburger Hengst CHACCO-BLUE (v. Chambertin/Contender/Godavari xx). Weitere, bis in die ersten Mecklenburger Gestütsbücher zurückreichende Stutenstämme wie die der Wellsteinerin, der Friesenjette, der Forderung oder der Adventskarte werden mit ihrem Wirken in der Mecklenburger Zucht vorgestellt.
Durch diese Serie - der Vorstellung erfolgreicher Familien aus unserem Zuchtgebiet - soll die Bedeutung erfolgreicher Stutenstämme dargestellt und zu deren Erhalt und Pflege motiviert werden. Es gilt den Nachweis zu erbringen, daß in Zucht und Leistung konsolidierte Stutenfamilien auch dem verbesserten Image einer Zucht dienen; sind doch eher homogene, verläßliche Zuchtpferde zu erwarten. Schließlich können aus dem vorzustellenden Material auch Schlüsse auf Verwandtschaften im zuchtaktiven Bestand abgeleitet und ggf. zielgerichtet genutzt werden.
Kristin Romanowski, Dr. Siegfried Hoffmann (Die Autoren sind für kritische Hinweise und weiterführende Informationen dankbar.)

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