Gebisskunde: Seminar mit Karl-Friedrich von Holleuffer (29.01.2011)

Erschienen am 30.01.2011

„Zügelführungen sensibler machen!”

Karl-Friedrich von Holleuffer befasst sich mit dem Thema Gebisse und weist anhand eines Modells nach, dass doppelgebrochene Gebisse im Pferdemaul klemmen. Foto: WegoDas war das hochinteressante Thema von Karl-Friedrich von Holleuffer aus Neumünster anlässlich des Richterkonvents am 27. Januar in der Sportschule Güstrow. Der Referent brachte mit einer Vielzahl an plastischen Beispielen, unter anderem auch mit einem selbstgebauten „Messbock“ zur Berechnung des Druckes durch die Reiter-/Fahrerhand, zum Ausdruck, dass ein Großteil der Pferde das falsche Gebiss im Maul haben, dass die Reiter und Fahrer zu viel mit der Hand einwirken und Pferde unter den Gebissen vielfach leiden. Dazu hatte er eine Unmenge verschiedener Gebisse dabei, die teilweise abenteuerlich anmuteten, zum Teil aber auch Sonderanfertigungen zur individuellen Anpassung an die Anatomie der Pferde waren, die im Laufe der Erläuterungen des Lektors durchaus ihren Sinn bekamen.
Der Frage von Richtern, dass die meisten dieser Gebisse doch nicht in der Gebisstafel der LPO abgebildet sind und deshalb bis Klasse L ja nicht angewendet werden dürfen, hielt Karl-Friedrich von Holleuffer entgegen, dass mehr als 80% der Reiter nicht Turnierreiter sind. Auch diese sollten wissen, wie Gebisse wirken und welches für ihre Pferde die schonendsten sind. Und außerdem befinden sich die Pferde die meiste Zeit im Training oder in der Ausbildung und auch dafür muss man herausfinden was zu welchem Pferd passt, so sein Credo.
Der Fahrlehrer FN und Trainer A Karl-Friedrich von Holleuffer arbeitet auf dem Gebiet der Gebisskunde ganz eng mit Prof. Dr. phil. nat. Dr. h.c. Holger Preuschoft vom Institut der Ruhr-Universität Bochum zusammen, der die FN schon vor vielen Jahren darauf aufmerksam gemacht hat, dieses Thema mehr ins Blickfeld zu rücken. Die konzertierte Aktion der Beiden scheint nun Früchte zu tragen. Denn die FN hat angekündigt, diese Thematik zukünftig zum Bestandteil der Reitlehrerausbildung zu machen.
 
Gebisse müssen weich wirken
Richterin Bärbel Großwendt am Messbock zur Ermittlung des Druckes auf das Genick des Pferdes durch die Reiterhand.„Gebisse sind gut und notwendig für die Harmonie zwischen Reiter und Pferd“, stellte von Holleuffer seinem Vortrag voran. „Ein Gebiss muss stets so weich wie möglich und darf nur so scharf wie nötig sein“, so sein Leitsatz. Gebisse wirken nach seinen Untersuchungen auf die Zunge, die Lade, den Gaumen von innen nach oben, den Unterkiefer von hinten, auf den Nasenrücken von vorne, auf das Genick von oben und geringfügig auf die Lefzen.
Die Zunge des Pferdes ist ein starker und sein feinfühligster Muskel. Die weichste Einwirkung erreichen wir, wenn das Gebiss nur auf der Zunge liegt. Das Pferd versucht mit der Zunge das Gebiss vom Unterkiefer, den Lefzen und Gaumen fern zu halten. Viele Pferde, die heute durch die Zucht sehr leichtrittig sind, werden mit Gebissen leicht überfordert, so die Meinung von Karl-Friedrich von Holleuffer. Er vergleicht das Pferdemaul mit einem Schloss, zudem nur ein ganz bestimmter Schlüssel passt. Der Schlüssel ist in diesem Falle das Gebiss. „Du musst nur den richtigen Schlüssel finden um es aufzuschließen“, sagte er und erinnerte an den alten Lehrsatz. „Das Pferd sucht die Anlehnung - der Reiter/Fahrer gestattet diese“.
Von Holleuffer mahnte: „Reiterliches Unvermögen, kann nicht durch scharfe Gebisse ausgeglichen werden. Die Reitkunst endet dort, wo die Gewalt beginnt. Die Gewalt beginnt dort wo das Wissen endet“. Pferde sollen mit Gebiss kauen, damit sich die Backenmuskeln lösen und Speichel gebildet wird. Kaum einer hat schon mal darüber nachgedacht, dass die Maulspalte bei alten Pferden enger wird, weil die Stellung der Schneidezähne flacher wird. „Deshalb müssen Gebisse für alte Pferde dünner werden“, so der Lektor. Einen weiteren Gesichtpunkt für das individuelle Anpassen brachte er: „Die Lade, sprich Unterkiefer, ist bei vielen Pferden rechts und links verschieden hoch. Die Reihen der Backenzähne sind nach unten hin auch meist verschieden lang. Das muss man ausgleichen.“
Eine fast unüberschaubare Vielfalt an Gebissen hatte Fahrlehrer Karl-Friedrich von Holleuffer dabei. Foto: WegoZur Wirkung von Gebissen brachte Fahrlehrer von Holleuffer ebenfalls interessante und für die meisten neue Erkenntnisse. Doppelt gebrochene Gebisse sind danach sehr scharf für das Pferd und weich nur für die Hand des Reiters. Sie wirken nicht gegen den Gaumen, sondern klemmen Zunge und Lade ein. Für die Gebissbreite gab er das Richtmaß an: Maulbreite plus fünf Millimeter auf jeder Seite. Zu breite Gebisse wirken schärfer, zu Schmale schädigen Lefzen, Lade und Zunge.
Karl-Friedrich von Holleuffer brach eine Lanze für Stangengebisse: „Stangengebisse liegen fast nur auf der Zunge“. Reit- und Fahr-Kandaren wirken mit der Kinnkette ab 45° korrekt, sonst können sie Strotzen (Kette zu kurz) oder Durchfallen (zu lang). Gummi und Ledergebisse radieren im Maul. Aber bei Gummi und Ledergebissen treten die Pferde besser an das Gebiss heran, weil diese nicht so stark bremsen. Ledergebisse sollten nach seiner Meinung aber feucht eingelegt werden.
Gebisse mit Zungenfreiheit sind schärfer, weil sie gleichzeitig auf Zunge, Lade und Gaumen wirken, das sollte man wissen. Olivenkopfgebisse schonen die Lefzen. Gebisse mit D-Ringen, oder Steggebisse verhindern ein durchziehen durch die Maulspalte, deshalb seien diese gut für die Longenarbeit zur Verbesserung der Stellung.
„Die Liverpool und Postkandare im Achenbach Fahrzaum hat eine Zweistufenwirkung“, so von Holleuffer. Bis zu 45° ist sie sehr weich, ab 45° wirkt die Kandare mit Kinnkette. In der Fahrkandare des englischen Fahrzaums wirkt die Kinnkette immer scharf. Eine Doppelringtrense im Fahrsport hat mehr Spiel und verkantet sich nicht so leicht.
„Wichtig für die Gebisswirkung ist die korrekte Handstellung und Zugrichtung“, so der Fahrlehrer. „Die Hände sollen senkrecht stehen. Reiten, Fahren und Longieren muss aus dem Handgelenk geschehen.“ Die Wirkung von Gebissen sei aber auch abhängig vom verwendeten Nasenriemen. Die Nasenriemenlage -höhe und -breite ist für den Spanndruck auf dem Nasenrücken und Unterkiefer entscheidend. Der Sperrriemen, bei den meisten Pferden unnötig, soll die Gebisswirkung verstärken. Er soll bei unruhiger Reiterhand das Gebiss ruhiger halten.
Na dann viel Spaß bei der Suche nach dem richtigen Gebiss für Ihr Pferd“. (Franz Wego)

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