Leserbrief zum Text "Gehen die guten Sitten schleichend verloren"
Erschienen am 14.11.2012
Sehr geehrter Herr Begall,
unter der Überschrift "Gehen die guten Sitten schleichend verloren" plädiert Franz Wego - übrigens dankenswerter Weise nicht zum ersten Mal in den Mecklerburger Pferden - für eine korrekte Einhaltung der Kleiderordnung nach LPO und damit für ein ästhetisches Erscheinungsbild auf den Turnierplätzen. Dieses Plädoyer ist leider notwendig und deshalb überaus verdienstvoll. Wem ein positives Bild unseres Sports am Herzen liegt, kann dem Ziel und dem Inhalt der Ausführungen nur beipflichten.
Dennoch scheinen mir einige Anmerkungen zu den angeführen Begründungen angebracht. Ob die Stillosigkeiten bei der Parcourbesichtigung an der Jahreszahl 1990 festgemacht werden können, vermag ich nicht zu beurteilen. Klar ist aber, daß § 505 Ziff. 1 LPO vorschreibt, daß der Prüfungsplatz zur Besichtigung nur im Reitanzug gem § 68 betreten werden darf. Wenn Reiter den Parcour in dem beschriebenen Freizeitaufzug betreten können, ist das ein Versäumnis der anwesenden Richter. In deren Hand liegt es, für die Einhaltung der LPO zu sorgen. Die Vorbildfunktion der sog. "Leistungsträger" ist erwünscht, wie die Aberkennung des S-Sieges zeigt, aber keine verläßliche Größe. Der zitierte Reiter aus Hessen hat dies zu Recht zum Ausdruck gebracht.
Ähnliches gilt zum Thema "Marscherleichterung". Ich finde es bedauerlich, wenn die Einhaltung von Standards, die den Stil unseres Sports ausmachen, nicht reiterlichem Selbstverständnis entspringen, sondern mit dem Hinweis auf eventuell verprellte Sponsoren eingefordert werden. Aber auch hier sind die Richter gefordert, schließlich liegt die Marscherleichterung in ihrem Ermessen. Leider ist zu beobachten, daß solche Maßgaben zur Erhaltung von Stil und Ästetik des Reitsports nicht nur nicht wahrgenommen werden, sondern sich die Richter diesem laisser - faire Verhalten mehr und mehr anpassen. Hier geht ebenfalls die Vorbildfunktion verloren. War es früher selbstverständlich , daß z.B. der Dressurrichter im geschlossenen Anzug mit Melone auftrat, sind heute mehr und mehr die Richter nicht einmal in der Lage, den Gruß des Reiters mit einem wenigstens auf dem Richtertisch liegenden Hut zu erwidern. Der Dresscode weiblicher Richter sei hier einmal ausgelassen. Besonders überzeugend in diesem Sinne wirkte der Auftritt eines älteren Dressurrichters in diesem Sommer, der barhäuptig im karrierten Baumfällerhemd, selbstverständlich ohne Krawatte, seiner verantwortungsvollen Tätigkeit nachging. Solche Vorbilder sind nicht nur nicht geeignet, das von Herrn Wego angemahnte Ziel von Stil und Ästhetik auf unseren Turnierplätzen zu erreichen, sondern mangels überzeugendem eigenen Verhalten auch keine Garantien für die Einhaltung der entsprechenden LPO-Bestimmungen.
Umso dankenswerter ist es, daß er die Diskussion zu diesem Thema angestoßen hat und damit die Verantwortlichen in die Pflicht nimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wilhelm Dettmering
Trakehner Gestüt
Gut Tribbevitz