Meinung: Fluch der guten Absicht

Erschienen am 06.12.2011

Horst Weber-Stacklies macht sich Gedanken über die Pferdezucht

Hallo liebe Pferdegemeinde - Jedes Mal wenn ich mit meinem neuen Pferd ausreite, geht mir zwangsläufig die moderne Reitpferdezucht nicht aus dem Kopf. Noble, rahmige Rappstute mit Cor de la Bryere und Landgraf im Pedigree, eben alles was im Holsteinischen und darüber hinaus kleine Wochenendhäuser springt. Auch der Mutterstamm mit Trafaret und Dispatcher nicht übel. Sehr umgänglich, wenn sie dich nicht mal in ihrer Anhänglichkeit aus Schreck an die Wand rammelt.

So auch beim Satteln. Dort wo sie vor dem Reiten angebunden war, können anschließend Kartoffel gepflanzt werden. Und beim Reiten erst - egal ob vorher longiert, ein Stehtag oder keiner, eine Stunde oder zwei, sachlich oder scharf ausgeritten. Man hat ständig das Gefühl gleich explodiert sie erbarmungslos. Dies dann aber meist nur beim Angaloppieren. Normal - das gibt sich irgendwann.

Aber die Minuten der Entspannung kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Gut, für die Durchblutung meiner Bandscheiben ist das schon wirksam. Der Ehrlichkeit willen - bisschen Angeben möchte man ja auch mal. Wie ginge das besser als mit solch einem tollen Modell, das bei jeder Kleinigkeit zur Schnaufmaschine mutiert und Passanten in Schrecken versetzt. Als ausgedienter Turnierveteran möchte man sich ja auch beim Reiten nicht langweilen.

Ohne den geringsten Zweifel ist die Stute nicht boshaft, aber sie kann nicht über den Schatten ihrer Gene springen. Und so freue ich mich auf die Jahre mit Clara-Joi, denn es ist eine streng katholische Beziehung - Scheidung nicht möglich. Wäre, wenn gewollt, nur mit dem Zusatz "unreitbar" verkäuflich. Zu gefährlich für Unbedarfte. Es gäbe sonst mal hopp einen Freizeitreiter weniger.

Das einzige Rezept ist ewiger Seelenbaumelschritt und dabei alle Allüren ignorieren. Aber welcher Bereiter hat diese Zeit! Der Züchter ist Profi genug. So wusste er bestimmt, dass die Ausbildung seiner vielen anderen Pferden effektiver ist und nahm die Stute in die Zucht. Gute Bereiter haben keine Zeit für Pferde mit ADHS-Syndrom. Freizeitreiter wären mit diesen Temperamenten gnadenlos überfordert. Bleiben für solche "Hyperzuchtprodukte" ohne Sportambitionen nur wir paar irre Veteranen.

Nun zum ernsten Teil dem eigentlichen Problem. Was machen wir mit diesen überzüchteten Pferden, denen unverschuldet, trotz artgerechter Aufzucht ihr Webfehler quält?

Überraschung auch, als ich die Pedigrees einiger der in Redefin gekörten Hengste sah. Irgendwie stinkt das gewaltig nach Inzucht. Inzucht war das Mittel zur Züchtung der Vollblüter. Aber da gibt es nur ein einziges Selektionsmerkmal, das Wolfsgesetz, wer nicht schnell genug, der wird gefressen. Was ist mit der uns einst von Dr. Flade in Zierow gepredigten Linienzucht geworden? Gibt es die überhaupt noch? Oder bestimmen heute die hohen Töchter die Zucht. "Detektiv-Linie was ist das? Sieh mal Papa, hier in den Papieren stehen die Pferde von denen Herr Sostmeier im Fernsehen immer redet".

Dazu noch nicht genug - noch einen drauf: Ist die Zuspitzung in der Trennung von Dressur,- und Springpferdezucht wirklich unvermeidlich? Und funktioniert diese Teilung überhaupt annähernd? Keiner kann Veranlagung garantieren! Kaufe ein Pferd mit Springpferdepedigree, aber Springen kann und will das gar nicht. Was nun - wen wundert es, total mall im Kopp ist es auch noch?

Ab zu den langsamen Galoppern an den Haken? Es können schließlich nicht alle auf den Gnadenbrothof. Früher hieß es für das Pferd, entweder springst Du über die Deichsel oder du kommst an die Deichsel. Nun, das war früher. Heute hat der Zuchtbetrieb keine Wahl sich dem modernen (Wahn?) zu entziehen, er muss den Markt bedienen und folgen wohin auch immer. Wem wird bei dem Begriff Markt eigentlich nicht mehr übel?

 

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