Ausbildung: Der Sitz des Reiters

Erschienen am 20.04.2011

Der korrekte „schwere“ Sitz ist durch keine andere Hilfe in der Ausbildung zu ersetzen.

(Aus: „Dogmen der Reitkunst“ von Kurt Albrecht) aufgeschrieben von Anne Schmatelka

Der Sitz ist die Grundlage für jegliches Reiten und die Basis für die gesamte Entwicklung von Reiter und Pferd. Ein korrekter, tiefer und elastischer Sitz ermöglicht eine korrekte Einwirkung auf das Pferd und eine feine Hilfengebung ohne Krafteinwirkung.

 
Der korrekte Sitz
„ […] Das Gesäß ruht mit losgelassenen Muskeln in voller Breite im Sattel. Die Oberschenkel, mit ihrer inneren breiten Fläche anliegend, werden so weit nach innen gedreht, dass das Knie flach am Sattel liegt. Sie werden soweit zurückgenommen, wie es mit dem Sitz auf den beiden Gesäßknochen vereinbar ist. Hierdurch wird eine tiefe Lage des Knies erzielt, die von besonderer Wichtigkeit ist, weil sie ein gutes Umfassen des Pferdes ermöglicht und den Reiter tiefer in den Sattel und damit näher an das Pferd bringt.“ (Auszug aus: Reiten und Fahren Band 1, Grundausbildung für Reiter und Pferd, Deutsche Reiterliche Vereinigung FN, e.V.)
 
Den korrekten Sitz erreiche ich als Reiter dadurch, dass ich lerne, korrekt im Schwerpunkt des Pferdes zu sitzen. Ein Foto zeigt eine Reiterin, die gemäß den reiterlichen Richtlinien im Schwerpunkt sitzt. Die von Kopf bis Fuß eingezeichnete Linie zeigt die Achse, die als Richtlinie gelten soll. Hat ein Reiter beispielsweise kürzere Arme oder längere Beine, kann diese so genannte Achse ein wenig variieren. Wichtig ist, für sich in seinem Körper eine solche gerade Mittellinie zeichnen zu können, würde man ein Foto von seinem Sitz machen. Die Beine sollen – wie auf dem Foto gezeigt - lang am Pferdeleib herunterhängen und die Knie dürfen nicht hochgezogen sein.
Bei einem korrekten, tiefen und elastischen Sitz spürt man an beiden Gesäßknochen gleich stark den druck des Sattels. Wenn man sich auf einen Hocker setzt und versucht, dieses Foto nachzustellen, wird einem das beschriebene Gefühl sofort bewusst. Um den eigenen Sitz immer wieder zu korrigieren und zu perfektionieren, ist natürlich auch und vor allem der Trainer gefragt, der immer wieder überprüfen sollte, ob die gedachte horizontale Linie wie oben durch den Körper geht, die Knie an der richtigen Position liegen und die Linie Ellenbogen-Handgelenk-Pferdemaul eine Gerade ist.
 
Sitzen wir nicht korrekt im Pferd, sondern vor dem Pferd oder auch hinter dem Pferd, mit hochgezogenen Knien, nach vorne geschobenen Unterschenkeln, mit einem Buckel, zu hoher oder zu tiefer Hand, mit eingeknickter Hüfte oder auch im Hohlkreuz, kann das Pferd nicht die Leistung erbringen, die wir von ihm verlangen, denn die korrekte Einwirkung auf unser Pferd und somit korrekte Wirkung auf den Körper, die Muskulatur des Pferdes gehen verloren.
„Der korrekte Sitz, wie ihn unsere reiterlichen Richtlinien beschreiben, ist keine Erfindung, sondern er hat sich aus der jahrhundertealten Erfahrung der jeweils besten Reiter entwickelt.“ (Egon von Neindorff).
Auf einem weiteren Foto demonstriert die Reiterin den Stuhlsitz. Dieser hat Auswirkungen auf die Einwirkung auf das Pferd. Dadurch, dass die Schenkel zu weit vorne liegen und die Knie hochgezogen sind, kommt die Schenkelhilfe nicht mehr an. Hochgezogene Knie sind auch der Grund, warum mancher Reiter immer wieder seine Bügel verliert. Das Pferd kann bei einem solchen Sitz nicht wie gewünscht reagieren, da die Reiterin kein eindeutiges Signal sendet.
Einwirkung heißt immer, der Reiter wirkt mit seiner Körper- und damit mit seiner Muskelspannung - auf das Pferd ein. Ist die Muskulatur fehlerhaft angespannt, entsteht eine fehlerhafte Belastung des Pferdes und so verändert sich die Einwirkung auf das Pferd. Gleichzeitig bringt der Reiter das Pferd aus dem Gleichgewicht.
Viele Reiter tragen ihren Kopf beispielsweise immer zu weit vorne und verspannen dadurch unbewusst ihre Schulterpartie. Alleine diese fehlerhafte Kopfhaltung belastet die Vorhand des Pferdes mit einem Mehrgewicht von 6-9 kg. Durch die verspannten Schultern verändert sich die gesamte Einwirkung auf das Pferd.
Auf einem weiteren Foto demonstriert die Reiterin den Spaltsitz. Die Schenkel liegen zu weit hinten. Sie macht ein Hohlkreuz. Das Pferd kann nicht mehr unterscheiden, ob der Schenkel nun verwahrend liegt oder treibend. Die Übergänge werden nicht mehr fließend sein, Paraden kommen nicht mehr durch. Die Reiterin muss zwangsläufig anfangen zu ziehen und blockiert damit nicht nur Hinterbein und Schulter. Fast jedes Pferd wird wie hier unwillig das Maul öffnen, da die Hand sehr hart ist. Dieser Druck ist für das Pferd sehr schmerzhaft, da das Gebiss massiv auf die Zunge wirkt, wodurch sich Kiefer und Genick verspannen und sich das Pferd in Folge auch im Rücken nicht mehr loslassen kann.
„Fehlerhafter Sitz bedeutet noch mehr Probleme. Das Pferd kann nicht entspannt an die Hand herantreten, es schwingt nicht von hinten nach vorne durch und es macht den Rücken nicht auf. Es verspannt sich zusehends und wird widersetzlich“, so Siegfried Peilicke, ehemaliger Bundestrainer der jungen Reiter. „Man muss immer wieder an seinem Sitz arbeiten und sich Hilfe von einem Ausbilder holen. Denn ohne den korrekten Sitz funktioniert Reiten nun einmal nicht.“
Für uns als Reiter heißt das: Wann immer wir auf dem Pferd sitzen, reicht es nicht aus, nur zu fühlen, was unter mir als Reiter passiert - also im Pferd - sondern auch zu begreifen und zu fühlen, was mit mir selbst geschieht.
„Oft findet man bei Reitern Parallelen zu deren Bewegungs- oder Gangmuster (ohne Pferd). So wie ich laufe, reite ich auch, mit den gleichen Haltungsfehlern. Hinzu kommt bei einem fehlerhaften Sitz, dass das Pferd nicht nur allein sich selbst ausbalancieren muss, sondern auch noch den auf ihm sitzenden Reiter und dessen fehlerhafte Belastung“,sagt die Physiotherapeutin und Pferdeosteopathin Nicole Feldmann.
 
Stellen Sie sich folgende Fragen:
Wie sitze ich auf dem Pferd?
a. Sitze ich gerade oder schief?
b. Knicke ich vielleicht in der Hüfte ab?
c. Sind die Bügel gleich lang / zu lang / zu kurz? Trete ich sie gleichmäßig belastet aus?
d. Ziehe ich die Knie hoch?
e. Schiebe ich die Unterschenkel zu weit nach vorne / zu weit nach Hinten?
f.   Wie sieht mein Sitz von der Seite aus. Mache ich einen Buckel? ein Hohlkreuz? Kippt mein Becken nach vorne oder nach hinten?
g. Lehne ich mich mit dem Oberkörper zu weit nach hinten oder nach vorne?
h. Wo sind die Schenkel?
i.   Drehe ich meine Füße zu stark nach Innen oder nach Außen?
j.   Wackele ich vielleicht mit dem Kopf?
k. Ist der Kopf nach vorne gestreckt?
l.   Sind die Schultern zu weit hinten?
m.Die Ellenbogen abgespreizt?
n. Man betrachte Arme und Handhaltung. Entspricht die Haltung den Vorgaben der Fachliteratur? Bildet die Zügelhaltung eine gerade Linie vom Ellenbogen bis zum Pferdemaul?
o. Sind die Fäuste korrekt aufgestellt?
p. Die Daumen geschlossen?
q. Habe ich einen Knick im Handgelenk?
 
Sie können von Ihrem Reiten Videos/Fotos machen, um zu überprüfen, wie Ihr Bild auf Sie wirkt. Beginnen Sie dabei im Schritt und wenn das perfekt ist, gehen Sie über auf den Trab. Wichtig ist: Keine Fotos als Grundlagen zu nehmen, wenn es schön aussieht, sondern Fotos, wenn es nicht klappt oder Bilder in Situationen oder bei Lektionen, die für Sie schwierig sind.
Wenn Sie direkt während des Reitens wissen wollen, ob Sie so sitzen, wie es die reiterlichen Richtlinien vorgeben, parieren Sie vor einem Spiegel zum Halten durch, so dass Sie sich von der Seite sehen können. Sitzen Sie so, wie Sie immer sitzen, ohne sich Mühe zu geben, gerade in diesem Moment korrekt sitzen zu wollen. Das Pferd sollte dabei geschlossen stehen. Bitten Sie nun eine Person, eine Gerte an Sie zu halten und zwar so, dass die Gerte eine Linie zwischen Absatz (Versenmitte) und Schulter (Mitte) bildet. Wenn diese Linie so aussieht, wie auf dem Eingangsfoto, sitzen Sie korrekt, wenn nicht, versuchen Sie, Ihre Körperhaltung so lange zu verändern, bis eine gerade und senkrechte Linie erreicht ist.
 
Schauen wir uns einen weiteren fehlerhaft dargestellten Sitz und seine Auswirkungen in der Trabverstärkung auf einem der Fotos an: Aufgrund der fehlerhaften Gewichtsverlagerung der Reiterin verändert sich die Handhaltung. Die Hand ist zu hoch. Das Pferd drückt den Kopf nach vorne, verwirft sich, um sich dem Druck der Hand zu entziehen. (Zwar sehen wir die gerade Linie Ellenbogen-Pferdemaul, aber die Reiterin zieht am Zügel nach hinten und das Pferd mit dem Kopf nach vorne. Das ist somit nicht die oben beschriebene korrekte gedachte Linie).
Dieses Pferd kann nicht mehr aktiv unter den Schwerpunkt treten, die Rückenmuskulatur ist verkrampft und das Hinterbein nicht mehr aktiv. Es pinselt unwillig mit dem Schweif. Durch die nach hinten wirkende Hand, blockiert die Reiterin Hinterbein und Schulter. Das Pferd kann die Schulter nicht mehr heben, Raumgriff und Rahmenerweiterung gehen verloren. Das Pferd kommt in Folge auf die Vorhand. Die Reiterin kann diesen Bewegungsablauf nicht mehr sitzen und beginnt mit den Oberschenkeln zu klemmen und zieht dadurch die Knie/ Absätze hoch, drückt die Füße nach innen Richtung Pferdeleib, in dem Versuch, sich dadurch zusätzlich festklammern zu wollen. Der Bewegungsablauf des Pferdes wird in der Folge eilig, flach und laufend. Der Schwung aus der Hinterhand geht komplett verloren.
Zu diesen genannten Problemen gesellt sich bei jeder falschen oder fehlenden Einwirkung durch den Reiter irgendwann ein Weiteres hinzu, nämlich, dass wir als Reiter die fehlende Einwirkung durch anders gearteten Druck auf das Pferd auffangen (müssen). Mit noch mehr Handeinwirkung oder mit zu viel Unterstützung durch Gerte, Schlaufzügel oder was auch immer. Ergebnis sind irgendwann auch Rückenprobleme beim Pferd, die mit leichten Verspannungen beginnen und massiven Beschwerden und Schäden enden können.
 
Was tut man, wenn man merkt, dass es irgendwie „nicht mehr rund läuft“ und alles schwieriger wird?
Einen Schritt zurückgehen. Den eigenen Sitz immer wieder überprüfen. Trabverstärkungen nur in kurzen Reprisen reiten. Stellt man fest, dass das Pferd schlecht zu sitzen ist: Tempo zurück nehmen, den eigenen Sitz überprüfen, ggf. einige Tritte den Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen und dann von Neuem beginnen. Der Bewegung des Pferdes elastisch folgen. Wann immer wir nicht mehr gut sitzen können, hat sich unser Sitz so verändert, dass wir das Pferd in seiner Bewegung und Balance stören. Das gilt auch für Übergänge. Von Trab zum Galopp oder vom Trab zum Halten oder beim Rückwärtsrichten.
 
Worauf kann man achten, um den Sitz zu verbessern?
-Immer wieder überprüfen, ob die eigenen Schultern und Hüften parallel zu der Schulter des Pferdes bleiben – auch in den Seitengängen oder auf den gebogenen Linien.
-Kontinuierlich auf die Schenkellage achten.
-Das Zusammenspiel zwischen treibenden und verwahrenden Hilfen, zwischen Schenkel-, Kreuz- und Zügelhilfen verbessern wollen.
-Wenn man auf den Spiegel zu reitet, schauen, ob man gerade sitzt.
-Das Reiten ohne Zügel an der Longe. Es verbessert den zügelunabhängigen Sitz.
-Die Handhaltung immer wieder überprüfen. Sind die Fäuste korrekt aufgestellt, eingedreht, gekippt oder eingeknickt, zu hoch oder zu tief?
-Beim Reiten immer wieder mit beiden Händen weich überstreichen, um zu prüfen, wie sich das Pferd verhält. Bleibt es in Selbsthaltung, drückt es den Kopf hoch oder nach vorne, entzieht es sich der Zügelhilfe, wird es schneller, laufender, flacher, fällt es auseinander, waren Sitz und Einwirkung fehlerhaft.
-Das im Französischen als „Decente de main“ bezeichnete weiche Absenken der Hand nach der Parade, veranlasst den Reiter, immer wieder mit beiden Händen fein nachzugeben (den Zügel dabei nicht springen lassen) und die eigenen Zügelführung zu überprüfen.
-Da es nicht einfach ist, sich selbst zu korrigieren, bleibt einem im ersten Schritt nur die Suche nach dem richtigen Ausbilder. Ein Ausbilder, der den Sitz immer wieder korrigiert. Viele Ausbilder vernachlässigen das heute leider. Dabei sind Sitz und Handhaltung die Basis der gesamten Reiterei.
 
Je elastischer und tiefer ich als Reiter „in“ meinem Pferd sitzen kann, umso einfacher wird alles. Übergänge sind weicher und fließender, bei der Verstärkung schwingt das Pferd elastisch durch und trägt den Reiter harmonisch mit.
Es zieht, tritt an die Hand heran. Rückwärtsrichten funktioniert ohne Ziehen und Zerren am Zügel und ohne dass das Pferd entweder zu Seite ausweicht oder erst stockt und dann rückwärts schießt. Das Angaloppieren erfolgt mit wenig Druck, meist allein durch Denken und das Pferd wirkt zufrieden und entspannt und vieles mehr.
Mit einem korrekten und elastischen Sitz macht Reiten Spaß. Mit einem schlechten Sitz ist Reiten irgendwann nur noch ein Ziehen und Zerren und man hat ein unwilliges und unmotiviertes – irgendwann krankes Pferd.  (Anne Schmatelka)
 
Zur Autorin:
Anne Schmatelka arbeitet seit 17 Jahren als freiberufliche Verhaltenstrainerin in der Industrie. Schwerpunkt: Konfliktmediatione, Teamprozesse und Coaching auf Führungsebene.  Die Dressurreiterei nach der klassischen Ausbildungsmethode ist ihr Hobby. Sie ist Buchautorin, Verfasserin vieler Fachbeiträge, Mitglied bei Xenophon, trainiert bei Reitmeister Siegfried Peilicke und reitet auf einem gepflegten S-Niveau. Besuchen Sie sie auf www.reitertipps24.com.

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