Ausbildung: In der Ruhe liegt die Kraft

Erschienen am 31.01.2011

Ausbildung und Turniereinsätze für Drei- bis Sechsjährige

 
„Diamanten-Schleifen“ mit dem Cheftrainer‚Diamanten’ sind sensibel – ‚schleifen’ Sie sie mit Ruhe und Behutsamkeit in der Ausbildung und beim Turniereinsatz.
 
Warendorf (fn-press). Sie haben ein junges Pferd im Stall. Jedes junge Pferd ist etwas besonderes, aber speziell dieses Pferd hat etwas, was Sie begeistert: sehr gute Grundgangarten, Intelligenz und vielleicht noch einen eigenen ‚Schick’. Dieser Rohdiamant will behutsam geschliffen werden. Wer einmal ‚daneben geschliffen’ hat, kann das nur schwer wieder glätten. Im ersten Teil des FN-Info Spezial zeigt der Cheftrainer der deutschen Dressur-Equipe, Holger Schmezer (Verden), Grundsätze seines Ausbildungsweges und herausgepickte Tipps auf, wie Ihr Diamant langfristig glänzen kann. In den Teilen zwei und drei kommen die Cheftrainer der Spring- und Vielseitigkeitsreiter zu Wort: Wie nutzen Sie das weltweit oft kopierte Ausbildungs- und Prüfungssystem der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) bei der Ausbildung von jungen Pferden?
 
In der Ruhe liegt der Erfolg
„Wenn ein Pferd einmal Angst bekommen hat, hat man oft ein ganzes Leben damit zu tun. Zum Beispiel Sattelzwang – wenn man sich da in der Gewöhnungsphase nicht genug Zeit lässt, leiden Pferde meist den Rest ihres Lebens darunter.“ Vehement spricht sich Schmezer dafür aus, junge Pferde behutsam, mit Zeit und Gefühl an Reiter und Reitsport heran zu führen: „Gerade wirklich gute Pferde brauchen oft etwas mehr Zeit, mehr Ruhe, weil sie häufig empfindlich und nicht ganz einfach sind.“
 
Dreijährige – Beurteilen und ‚Anschleifen’ des Rohdiamanten
 
Für Cheftrainer Schmezer ist der Galopp die wichtigste Grundgangart!Alles beginnt mit der Beurteilung und Einschätzung von dreijährigen Rohdiamanten. Für Schmezer stehen dabei zwei Dinge im Vordergrund:
• Ausgeglichene Grundgangarten – „Es nützt nichts, wenn ein Pferd für eine 10 trabt, aber im Schritt nur die 5 bekommt. Die Gangarten müssen ausgeglichen sein. Und ich würde abstufen: Galopp, Schritt, Trab. Der Galopp ist für mich am wichtigsten, weil später im Sport sehr viele Lektionen im Galopp abgefragt werden. Das Zweitwichtigste ist die Veranlagung im Schritt, dann der Trab.“
• Gleichgewicht – besonders gut ist das Gleichgewicht im Freilaufen oder beim Longieren zu beurteilen. Springt das Pferd beispielsweise beim Freilaufen um, wenn es einen Handwechsel macht? Das ist ein gutes Zeichen. Galoppiert es an der Longe häufig im Kreuzgalopp? Das spricht für noch nicht genügend Gleichgewicht. „Wenn ein Pferd beim Freilaufen noch nicht im Gleichgewicht ist, wird sich das Problem unter dem Reiter verstärken. Dann braucht das Pferd noch mehr Zeit.“ Zum Gleichgewicht zählt auch das ausgeglichene Temperamentsverhalten des Pferdes. Dazu gehört auch, dass sich die Pferde fordern lassen. „Natürlich dürfen sie sich auch wehren. Dann muss man sich als Reiter in sie hineinversetzen und beobachten, wie schnell sich das Pferd wieder beruhigt.“
 
Ausbildung
Der Cheftrainer empfiehlt: Weg von der Lektionsreiterei! Pferde brauchen Abwechslung – in jedem Alter. Das Ziel bei der Ausbildung muss von Anfang an die nahezu unsichtbare Hilfengebung sein. Aber auf dem Weg dorthin kann es auch mal nötig sein, mit Körpereinsatz zu helfen, beim Angaloppieren zum Beispiel. „Der körperliche Einsatz darf aber immer nur kurzfristig und vereinzelt deutlich sichtbar sein. Man muss eben bei jedem Pferd den richtigen Reizpunkt finden. Das Ziel ist nicht, immer schön zu reiten, aber immer effektiv und immer mit dem Ziel zur dezenten Hilfengebung zu kommen.“
 
Turniereinsatz
Das Ausbildungs- und Prüfungssystem der deutschen FN ist so eng miteinander verwoben und so konsequent aufgebaut wie kein anderes auf der Welt. Dennoch: Man darf nicht planlos alles reiten, was sich anbietet. Auch die Auswahl der Prüfungen muss, ebenso wie die Ausbildung selbst, individuell auf das Pferd abgestimmt sein. Die Ziele, die Sie mit Ihrem Rohdiamanten haben, sind ebenfalls ausschlaggebend. So sieht Schmezer den Turniereinsatz von Dreijährigen durchaus mit nachdenklicher Stirn. „Wenn ein Dreijähriger sich schon sehr gut an den Reiter gewöhnt hat, kann es Sinn machen, ihn schon einmal in einer Reitpferdeprüfung vorzustellen und an fremde Umgebung zu gewöhnen. Aber: Es muss nicht sein!“ Vor allen Dingen Pferde, die Probleme mit dem Interieur haben, sehr empfindlich sind oder von der Abstammung her einen hohen Blutanteil aufweisen, haben dreijährig nichts auf dem Turnier zu suchen, findet Schmezer. „Ich persönlich gönne den Dreijährigen nach dem Anreiten lieber noch einmal eine Pause auf der Weide“, erklärt er. „Dann hat man länger etwas von ihnen.“
 
Vierjährige – Weiteres ‚Anschleifen’ mit mehr Variationen
 
In der Ausbildung der Dreijährigen steht die Förderung von Gleichgewicht und Grundgangarten im Vordergrund. Genau diese Inhalte gehen fließend über in das Reiten von Vierjährigen, wobei die Entwicklung immer stark pferdeabhängig ist. Manch Vierjähriger ist mit Dingen überfordert, die einige Dreijährige schon leisten können.
 
Ausbildung
Generell sind alle Übergänge in der Ausbildung fließend, ebenso wie im Prüfungssystem. Bei einem Vierjährigen werden die gleichen Inhalte wie bei einem Dreijährigen weiter gefördert. Die Linien können schon vermehrt variiert werden, eventuell kann man schon größere Volten und Schlangenlinien hinzunehmen. „Man kann auch schon mal Lektionen, die Richtung Versammlung gehen, antesten.“ Wichtig ist vor allen Dingen, das richtige Arbeitstempo für sein Pferd zu finden. „Es ist auch abhängig von Kaliber und Größe, welches Tempo man wählt. Größere Pferde brauchen oft mehr Zeit, kleinere sind in der Regel schneller im Gleichgewicht – das beeinflusst die Tempowahl.“
 
Turniereinsatz
Hat Ihr Pferd besonders viel Mechanik und eine große Übersetzung, ist es eher kontraproduktiv auf einem 40er Viereck an den Start zu gehen. „Diese Pferde müssen in Reitpferdeprüfungen auf einem 60er Viereck starten, sonst könnte ein Turnierstart einen Rückschritt bedeuten.“ Das deutsche Prüfungssystem kam diesem Gedanken bereits mit der Einführung neuer Aufgaben für das große Viereck entgegen. Wichtig ist auch das Timing: Die jungen Pferde sollten nicht zu früh im Jahr auf das Turnier. „Je nach Ausbildungsstand halte ich den ersten Turnierstart der Saison im Mai, Juni für sinnvoll. Insgesamt sollten es aber nicht mehr als fünf oder sechs Starts pro Saison sein.“ Sind Pferde sehr ‚guckig’, kann man sie auch öfter aufs Turnier mitnehmen und auf dem Abreiteplatz mit Turnieratmosphäre arbeiten, um sie daran zu gewöhnen. Bei der Turnierwahl sollte man zudem auf die Bedingungen achten: Ist das Wetter schlecht, der Boden glitschig, gerade Hektik im Stall oder der Transport nicht in Ruhe abgelaufen – all das können Gründe sein, auf einen Start zu verzichten, sonst kann es Rückschläge in der Entwicklung des Pferdes geben.
 
Fünfjährige – weiterführende Lektionen vorsichtig ‚antesten’
 
Der Cheftrainer rät: „Pferde mit besonders viel Mechanik gehören auf ein 60er Viereck.“Ausbildung
Bei den Fünfjährigen fängt man in der Regel mit den ersten Linien im Außengalopp an. „Man muss zunächst pferdefreundliche Linien wählen, bsp. ‚Aus der Ecke kehrt’ und dann die lange Seite herunter. Aber man darf das Pferd nicht sofort im Außengalopp durch zwei Ecken ‚quälen’. Das hat nichts mehr mit Ausbildung zu tun.“ Auch das Schenkelweichen im Trab kann angesetzt werden, am günstigsten von der Mittellinie zur Bande. „Wenn aber das Pferd dabei zum Beispiel über die Schulter wegläuft, dann ist es noch zu früh für diese Lektion.“ Ein weiterer Grundsatz in der Ausbildung: Weiterführende Lektionen frühzeitig antesten, aber nur, wenn die Pferde tatsächlich so weit sind. „Wenn man die Pferde früh genug an neue Lektionen heranführt, haben sie es leicht. Aber: Sie müssen so weit sein.“ Ein weiteres Beispiel ist der fliegende Wechsel, der auch schon mit Fünfjährigen ausprobiert werden kann. „Man kann mal durch die halbe Bahn wechseln und versuchen, ihn umspringen zu lassen. Wenn er aber buckelt oder stehen bleibt, ist das ein Zeichen: Es ist noch zu früh.“ Dann muss man weiterhin verbessern, dass das Pferd an den Hilfen ist. „Wichtig ist, dass das Pferd vor die treibenden Hilfen kommt. Das erreicht man zum Beispiel mit häufigen Tempowechseln. Ich rede jetzt nicht von versammeltem und starkem Galopp, sondern von leichten Nuancen.“
 
Turniereinsatz
„Ein wirklich gutes fünfjähriges Pferd sollte man nicht in L-Dressuren vorstellen. Da wird mehr die Lektionsfolge abgefragt. Ich würde ein solches Pferd nicht zu lektionsbezogen reiten, sondern lieber in einer Dressurpferdeprüfung der Klasse L an den Start bringen, in der es mehr um die Grundqualitäten geht“, erklärt Schmezer. Die L-Dressuren sind das FN-Prüfungsangebot an den turnierambitionierten Freizeitreiter, die Dressurpferdeprüfungen der Klasse L sind ein Baustein für Dressurpferde auf ihrem Ausbildungsweg nach oben. Weiterhin gilt auch mit fünf Jahren: Ausgesuchte Turniere, fünf bis sechs Turnierstarts pro Saison sind genug. „Es kann dabei auch mal Sinn machen, zwei Turniere direkt hintereinander zu reiten und dann einige Wochen Pause zu machen. Das muss man von Pferd zu Pferd entscheiden.“ Schmezer betont, dass gerade die Prüfungen für junge Pferde immer wieder überarbeitet werden. „Das Angebot der Aufgaben wurde immer mehr an das erhöhte Bewegungspotenzial der Pferde angepasst und es werden deswegen inzwischen auch mehr Prüfungen auf großen Vierecken angeboten.“
 
Sechsjährige – das Gefühl bleibt wichtigster Aspekt
 
„Pferde brauchen nach jedem Ausbildungsabschnitt eine Pause.“ – Das können auch mal ein paar gemütliche Tage auf der Koppel sein.Ausbildung
Im Wintertraining in Richtung sechsjährig werden meist die fliegenden Wechsel gefestigt. Wenn man dabei ein gutes Gefühl hat, kann man schon mehrere Wechsel hintereinander ausprobieren – allerdings ohne sich auf eine bestimmte Anzahl von Galoppsprüngen zwischen den Wechseln festzulegen. Die ersten Galopp-Traversalen können angWir haben in Deutschland das kompletteste Prüfungssystem der Welt. Nutzen Sie es passend für ihren ‚Diamanten’, damit Sie lange Spaß und Erfolg mit ihm haben.esetzt werden, angelegt auf langgezogenen Linien. „Wie bei den Wechseln muss man auch hier viel mit Gefühl reiten und nicht gleich die Traversalen von Punkt zu Punkt erzwingen. Man muss so anfangen, wie es das Pferd anbietet – nicht zu steil.“
 
Turniereinsatz
Bei der Dressurpferdeprüfung der Klasse M ist man schon auf dem Weg zu punktuellem Reiten. „Bei dieser Entwicklungsstufe bin ich durchaus der Meinung, dass man parallel Dressurprüfungen und -pferdeprüfungen reiten kann – im Gegensatz zu meiner Aussage bei den Fünfjährigen“, erklärt Schmezer. „Wenn die Pferde auf M-Niveau sind, muss man einfach genauer von Punkt zu Punkt reiten. Und außerdem sollte man jetzt schon den nächsten Schritt im Hinterkopf haben: die S-Dressur. Da wird das Reiten von Punkt zu Punkt in verstärktem Maß gefordert.“
Prinzipiell betont Schmezer: „Zehn Turniere in der Freiluftsaison halte ich für die Höchstdosierung an Turniereinsätzen, bei Sechsjährigen, aber auch bei älteren Pferden.“ Und in keinem anderen Land kann man aus so vielen guten Turnieren genau die richtigen zehn für sein Pferd aussuchen wie in Deutschland.
 
Tipp-Kiste: „Alle guten Dinge sind Neun“
 
Tipp 1: Egal, wie alt ein Pferd ist: Für Schmezer sind immer viel Bewegung und Abwechslung wichtig. „Mein Hinnerk zum Beispiel kam jeden Tag auf die Koppel, auch bei Eis und Schnee. Das kann man natürlich nur mit braven Pferden machen, sonst ist die Verletzungsgefahr zu groß.“
Tipp 2: Man kann auch mal bewusst einen anderen Reiter auf sein Pferd setzen, um zu sehen wir es reagiert. „Wenn das Pferd sehr nervös reagiert, würde ich an das Problem herangehen und es öfter damit konfrontieren, es daran gewöhnen.“
Tipp 3: Oder man setzt ab und zu einen Springreiter auf sein Pferd und lässt ihn ein paar Sprünge machen. „Das bringt Abwechslung und ist besser, als wenn man das als Nichtspringreiter selbst versucht und das Pferd aus dem Gleichgewicht bringt.“
Tipp 4: „Wenn ein Pferd etwas besonders schnell lernt, ist die Versuchung groß, gleich weiter zu machen in der Ausbildung, aber Pferde brauchen nach jedem Ausbildungsabschnitt eine Pause.“
Tipp 5: In der Ausbildung sollte man immer einen Schritt weiter denken. Beispiel: Mit einem Fünfjährigen startet man auf L-Niveau, aber Zuhause im Training denkt man schon an M-Lektionen.
Tipp 6: Zuhause die Lektionen nicht nur auf den Linien üben, auf denen sie in den Turnieraufgaben verlangt werden. „Dann sind die Pferde nicht ausgebildet, dann sind sie dressiert. Man soll die Pferde durchlässig machen und nicht abrichten.“ Genau das wird letztendlich auch immer wieder im deutschen Prüfungssystem abgefragt.
Tipp 7: Weg von der Lektionsreiterei. Gymnastik und Durchlässigkeit muss im Vordergrund stehen, sonst werden die Pferde stumpf!
Tipp 8: Die Winterarbeit dient prinzipiell dem Training der jungen Pferde und ist keine Turnierzeit. Bei Grand Prix-Pferden kann der Winter durchaus Turnierzeit sein, z.B. mit der Weltcup-Saison.
Tipp 9: Das deutsche Prüfungssystem bietet für jede Altersspanne ausreichend Prüfungen an: Man muss sich die passenden Prüfungen für sein Pferd zum passenden Zeitpunkt aussuchen! Dabei kann es auch mal sinnvoll sein, eine Prüfungsform komplett zu überspringen, weil sie zu dem Pferd und seiner Entwicklung nicht passt. (von fn-press/Kim Kreling)

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